Abstract
Gemäß den Ausbauzielen der Bundesregierung soll der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung bis 2030 auf 65 Prozent steigen. Die Nutzung der Windenergie an Land stellt hierfür kurz- und mittelfristig das kostengünstigste Ausbaupotenzial dar.1 Allerdings sind artenschutzrechtlich konfliktarme Standorte zunehmend schwierig zu finden, vor allem im Hinblick auf die Wahrung des Tötungsverbots für bestimmte, kollisionsgefährdete Greif- und Großvogelarten. In solchen Fällen werden für eine artenschutzrechtliche Genehmigungsfähigkeit, temporäre Abschaltungen von WEA (Windenergieanlagen) beauflagt (SCHUSTER & BRUNS 2018), die nach pauschalen Parametern oder bedarfsgerecht umgesetzt werden sollen.
Gemäß § 44 Abs. 5 Nr. 1 BNatSchG liegt ein Verstoß gegen das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG vor, wenn es sich um eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos handelt und diese durch Anwendung von gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann.
Technische Systeme zur Vogeldetektion und daran gekoppelte, bedarfsgerechte Abschaltungen (Antikollisionssysteme), stellen eine aktuell diskutierte Möglichkeit dar, um ein signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko windenergiesensibler Arten zu vermeiden. Derzeit stehen hierzulande unter anderem der Rotmilan (Milvus milvus), aufgrund seiner besonderen Kollisionsgefährdung und fast flächenhaften Verbreitung, aber auch der Seeadler (Haliaeetus albicilla), im Zentrum der Entwicklung von Bilderkennungsalgorithmen zur artspezifischen Erkennung und bedarfsgesteuerten Abschaltung (AMMERMANN et al. 2020).
Im Vergleich zu pauschalen Abschaltungen werden Abschaltungen mit Hilfe eines Antikollisionssystems Prognoseunsicherheiten hinsichtlich des Tötungsrisikos während des WEA-Betriebs besser gerecht. Diese Systeme bieten daher - bei Nachweis ausreichender Wirksamkeit - einen zuverlässigeren Schutz für kollisionsgefährdete Arten, als die Anwendung von, meist auf Erfahrungswerten basierenden, pauschalen Abschaltzeiten (KNE 2018). Zudem erlauben bedarfsgerechte Abschaltungen – im Vergleich zu pauschalen Abschaltbedingungen – die Zeit, in der die WEA aus Gründen des Artenschutzes im Stillstand ist, erheblich zu reduzieren. Angestrebt wird somit eine bedarfsgerechte Abschaltung, welche die artenschutzrechtlichen Anforderungen zum Vogelschutz erfüllt und gleichzeitig Einbußen in der Stromerzeugung minimiert.
Der Einsatz solcher Antikollisionssysteme kommt insbesondere dann in Betracht, wenn angesichts der Flächenknappheit kaum mehr ausreichend konfliktarme Standorte für den Ausbau an erneuerbaren Energien zur Verfügung stehen und mittels dieser Systeme einerseits der Artenschutz gewahrt und andererseits eine deutliche Reduktion der Abschaltzeiten ermöglicht wird (UMK 2020).
Derzeit existieren verschiedene derartige technische Systeme auf dem Markt, für die allerdings bislang noch kein hinreichender Wirksamkeitsnachweis vorliegt. Dementsprechend wurde bisher deren Einsatz in der Rechtsprechung noch nicht als belastbares Mittel zur Senkung des Tötungsrisikos unter die Signifikanzschwelle gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) angesehen (VGH München, Urteil vom 20.03.2016 zu DTBird – AZ: 22 B 14.1875, 22 B 14.1876). Inzwischen wird jedoch anerkannt, dass Systeme mit einer bestimmten technischen Leistungsfähigkeit, das Kollisionsrisiko durch eine ereignisbezogene Abschaltung (Trudelbetrieb) wirksam vermindern können (UMK 2020).
Eines dieser Systeme ist IdentiFlight (IDF), entwickelt und hergestellt in den USA (Abbildung 1, Abbildung 2). Der Schutz von Greif- und Großvögeln vor Kollisionen an WEA ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA von besonderer Bedeutung. Vor dem Hintergrund empfindlicher Geldstrafen im Falle nachgewiesener Tötungen von geschützten Arten wie dem Steinadler (Aquila chrysaetos) und dem Weißkopfseeadler (Haliaeetus leucocephalus), wurde von der Firma Boulder Imaging, Inc. in Colorado das System IdentiFlight (nachstehend: IDF) entwickelt, um Adler in ausreichender Entfernung von WEA zu detektieren und diese im Falle einer Kollisionsgefährdung rechtzeitig abzuschalten.2 IDF wurde in den USA bereits in Bezug auf seine Detektionsleistungen und seine Wirksamkeit hinsichtlich der Reduzierung von Kollisionsopfern getestet (MCCLURE et al. 2018; MCCLURE et al. 2021). Dabei zeigte sich u.a., dass IDF effektiv Vögel ab Turmfalkengröße mit einer Detektionsrate von 96 % im Vergleich zu Beobachtern erkannte. In 94 % der Fälle erfolgte eine korrekte Klassifikation von Adlern. Die Kollisionsrate wurde im Vergleich zu einem Kontrollstandort um 82 % reduziert. Die Ergebnisse dieser Studien sind zwar noch nicht auf europäische, kollisionsgefährdete Greif- und Großvogelarten, wie z.B. den Rotmilan, übertragbar, zeigen jedoch bereits die grundsätzliche Leistungsfähigkeit des Systems auf.
Die Firma erneuerbare energien europa e3 GmbH plant die Einführung von IDF in Deutschland und strebt die Anerkennung dieses Systems als effektive Schutzmaßnahme im Sinne des § 44 Abs. 5 Nr. 1 BNatSchG an, insbesondere im Hinblick auf den Rotmilan. Hierfür ist gemäß SCHUSTER & BRUNS (2018) eine entsprechende Erprobung und ggf. Weiterentwicklung erforderlich, die die Zuverlässigkeit und prinzipielle Wirksamkeit nachweist. Kontrollierte und wissenschaftlich begleitete Pilotstudien sollen zur Gewährleistung der Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit von Ergebnissen einem einheitlichen, an fachwissenschaftlichen Maßstäben orientierten, Methodenstandard folgen (SCHUSTER & BRUNS 2018).
Der vorliegende Endbericht stellt die Ergebnisse der Erprobungsuntersuchungen von IDF in Bezug auf die Zielart Rotmilan an sechs Standorten in Ost- und Süddeutschland in den Jahren 2018 bis 2020 dar, die unter neutraler Kontrolle und Qualitätssicherung durch die TÜV NORD Systems GmbH & Co. KG durchgeführt wurden.
Zielsetzung und Fragestellungen der durchgeführten Untersuchung orientieren sich an den Beurteilungskriterien des Kompetenzzentrums für Naturschutz und Energiewende (KNE 2019) für die Leistungsfähigkeit des Systems bezüglich der Erfassungsreichweite, der Erfassungsrate und der Flugobjektklassifizierung.